Spielregel ändern?!?


Spielregel ändern?!?

Manchmal schreibe ich, um einen einmal gefassten Gedanken zu Ende zu bringen. Oder oszillierende Gefühle zu klären:

Für viele Jahre haben wir nach einem mitteleuropäischen Verhaltenscode komfortabel gelebt. Wir wussten, wie wir selbst uns, wie sich andere uns gegenüber zu verhalten hatten. Praktische Schubladen, die Mitteleuropäer, Nordeuropäer, Südeuropäer, Amerikaner, etc. nach Kulturen, Werten, Prinzipien definieren halfen.

Halt, erster Einschub: die Jugend. In Wellen angepasster oder aufgebrachter, haben sie unsere Schubladen erweitert oder neue hinzugefügt. Und dennoch: all das signalisierte hohe Sicherheit, selbst bei jenen, die hoch reflektiert und bezogen in der Lage waren und sind, sich und das System in Frage zu stellen.

Und jetzt: die VUCA-Welt hat unsere Vorstellungen völlig verändert und durch eine monatelange Pandemie und Völkerwanderungen verstärkt.

Sind unser Spielregeln jetzt noch gültig. Ich glaube, nein.

Aber was kommt statt dessem? Kommt etwas statt dessen?

Darf ich höflich bleiben, wenn mich psychotische Narzisten anpöbeln? Muss ich Contenance bewahren? Oder besser Schranken, Grenzen aufzeigen?

Krisen – und als solche dürfen wir die aktuelle Corona-Situation bezeichnen – sind nicht nur ein Charaktertest, sondern auch so etwas wie ein Beziehungsgestalter. Wir erkannten, wieviel Wert Vertrauen und Loyalität haben, aber auch, was Verlust von Kontrolle und Umgang mit Unsicherheit für den Dialog und die Kooperation haben.

Wer war und ist für uns da, wer unterstützt und stärkt gemeinsame Aufgaben, Projekte und wer teilt mit uns Verantwortung – ungeachtet von früheren Vereinbarungen und Verpflichtungen – im beruflichen und im privaten Kontext.

Wer glaubt, uns als Blitzableiter, als Seelenkübel für Spiele nutzen zu können, die überwiegend eigene Unsicherheiten kompensieren sollen?

Und wer weit sich selbst in unvorhersehbaren Zeiten als Konstante, klar auch im „Nebel“, neugierig und freundlich im Neuen?

Ändern wir die Spielregeln aktiv.

Wir haben gelernt: Beziehung ist alles, mehr als Verträge, mehr als strategische Ziele und mehr als unerreichbare Ziele. Beziehung ist Kommunikation und Beziehung ist Zukunft.

Also: welches Verhalten, welche Haltung ist hinsichtlich der neuen, alten, hybriden, analogen, digitalen Systemwechsel angebracht? Was oder wer gewinnt Oberhand: die Identität einzelner, von (strukturellen oder funktionalen) Organisationen versus Differenzen in jeder Form.

Vieles zuvor noch gültige Verhalten braucht eine Überarbeitung:

  • Reflexion des Wertvollen und Wichtigem auch in unseren Beziehungen
  • Ablegen von Reflexen und Kennenlernen der eigenen Muster
  • Ausrichten auf Entwicklung und Wachstum – im Inneren mehr als im ökonomischen Äußeren
  • Lernen, klar, freundlich und verständlich zu kommunizieren und Menschen mitzunehmen in die neue Zeit.
  • Respektieren, dass nicht jede/jeder in dieselbe Richtung zieht und
  • Weiter voran gehen und Wandel zulassen, besser noch, mit gestalten.

Verantwortung beginnt bei uns für uns und ist dann Voraussetzung für kluge Beziehungsgestaltung – auch um den Preis von Abgrenzung und Selbstschutz.

Wenn wir uns in systemisch-konstruktivisten Verständnis bewegen, wissen wir um die Kybernetik zweiter Ordnung (Heinz von Förster) und der Unmöglichkeit, uns gänzlich zu lösen aus dem Teilseins der beobachteten Systems. Und dennoch, Distanz tut gut und auch die Klarheit, eigene Bedürfnisse an- und auszusprechen.

Nur so schaffen wir es, aus dieser Krise mit dem Gefühl zu wachsen, ganz genau zu wissen, auf wen wir uns verlassen können – und mit wem wir deshalb in Zukunft auch weiter zusammenarbeiten und zusammenlachen wollen.

Wir wünschen einen wunderbaren, gesunden und frohen Sommer und freuen uns auf Feedback und Dialog mit unseren Lesern,

Grüße, Barbara & Michel